Rundbrief Nr. 2 – Sommer 2019

28. Juni 2019

Liebe Freundinnen und Freunde,

es ist viel los dieser Tage und die Ereignisse zeigen, wie widersprüchlich und polarisiert die aktuellen politischen Entwicklungen verlaufen.
Die Todesrate für Geflüchtete und MigrantInnen im Mittelmeer ist so hoch wie nie zuvor, aber gleichzeitig schließen sich BürgermeisterInnen mehrerer Städte zusammen, um sichere Häfen zu fordern und zusätzliche Aufnahmeplätze in ihren Kommunen zu gewähren.

Die Mieten steigen unentwegt, Wohnraum bleibt knapp, aber „plötzlich“ ist Enteignung von Wohnungsbaukonzernen kein Tabu mehr sondern im Bereich des Politisch-Vorstellbaren. Diese Errungenschaften wären nicht ohne die hartnäckige Arbeit sozialer Bewegungen möglich gewesen!

Die Prognosen zur Unaufhaltsamkeit des Klimawandels erscheinen immer düsterer, doch der Widerstand gegen diese zerstörerische Politik macht sich nicht nur in You-Tube-Videos und an den Wahlurnen bemerkbar. Wie bereits in den Jahren zuvor haben am letzten Wochenende tausende Menschen mit ihren Körpern die Braunkohle-Infrastruktur im Rheinland blockiert. Ende Gelände, Fridays for Future und weitere Akteure haben mit gleichzeitigen Aktionen die Proteste für Klimagerechtigkeit auf ein neues Level gehoben.

Ein kurzer Blick über die Grenzen:
In der Schweiz haben am 14. Juni 2019 Frauen zu Tausenden ihre Arbeit niedergelegt und in vielfältigen kreativen dezentralen Aktionen auf ihre Forderungen aufmerksam gemacht. Sie streiken für gleiche Rechte, faire Entlohnung und sie kämpfen gegen sexualisierte Gewalt.

Und weiter nach Süden: Mit anhaltenden Massenprotesten und Dauerblockaden wurden in den letzten Monaten im Sudan und Algerien zwei Jahrzehnte lange Diktaturen gestürzt. Das Massaker der Militärs in Khartum Anfang Juni und zunehmende polizeiliche Repressionen in Algier lassen nichts Gutes erwarten, aber der Mut und die Hartnäckigkeit der Demokratiebewegungen bleiben beeindruckend und machen Hoffnung.

Zurück nach Germany und zum Kampf gegen den Rechtsruck: viele treibt im Moment die bevorstehende Wahl in Sachsen um. Nicht ohne Grund liegt dort der Schwerpunkt auf breiten Mobilisierungen, um der AfD und anderen rechtsextremen Kräften nicht das Feld zu überlassen. Das Bündnis „Unteilbar“ ruft bewegungsübergreifend zu einer Großdemonstration am 24. August nach Dresden auf. „We’ll come United“ wird sich mit einem Paradeblock anschließen und will damit an die Mobilisierungserfolge der letzten zwei Jahre in Hamburg und Berlin anknüpfen.

In ganz unterschiedlichen Bewegungen sind Aktive täglich in sozialen Kämpfen involviert und zeigen: Massenproteste und ziviler Ungehorsam werden zur Notwendigkeit, wo Recht zu Unrecht wird.

Mit unserer Initiative verstehen wir uns als Teil all dieser Auseinandersetzungen. Als Einzelpersonen sind wir mit unseren lokalen Gruppen in den jeweiligen sozialen Bewegungen aktiv. Davon gehen wir aus und gleichzeitig darüber hinaus, wenn wir mit „In welcher Gesellschaft …?!“ den Austausch zwischen den verschiedenen Alltagskämpfen verstärken und einen gemeinsamen Suchprozess anstoßen wollen. Wir wissen: dafür brauchen wir einen langen Atem. Stetige Schritte, um immer wieder die Verbindungen herzustellen und das große Bild in den Blick zu nehmen. Mit dem Kompass in Richtung eines bewegungsübergreifenden Netzwerkes, um der Gesellschaft der Vielen gerecht zu werden.

Auf unserer Webseite wurde unlängst ein Text zur Perspektive der Ernährungssouveränität ergänzt, siehe http://welche-gesellschaft.org/ernaehrungssouveraenitaet/. Zudem gibt es ein Update zur Care Revolution, siehe http://welche-gesellschaft.org/care-revolution. In beiden Texten werden Querverbindungen zu anderen sozialen Fragen aufgemacht und es wird jeweils auf die Notwendigkeit grundsätzlicher gesellschaftlicher Veränderungen hingewiesen. Weitere Thementexte sind in Vorbereitung und wenn Ihr zusätzliche Ideen habt, meldet euch gerne bei uns.

Gleichzeitig wollen wir in den kommenden Wochen und Monaten das anpacken, was auf der Webseite mit dem Platzhalter „Verknüpfungen“ überschrieben ist. Hier „sollen also im Laufe des Prozesses die Brücken, Überschneidungen und Verbindungen aber auch Widersprüche und Gegensätze zwischen den Bewegungen dokumentiert werden. Auf inhaltlicher wie auch auf praktischer Ebene…“

Zunächst werden wir uns im August auf dem Klimacamp im Leipzigerland (https://www.klimacamp-leipzigerland.de/programm/klimacamp/) an einem Workshop beteiligen, in dem der Austausch zwischen Anti-Kohle- und migrationspolitischer Bewegung im Mittelpunkt steht. Und wir hoffen, dabei Erfahrungen mit Verknüpfungsdebatten zu sammeln, die wir dann in vielfachen Themenkonstellationen im Rahmen einer Strategiekonferenz im kommenden Herbst fortsetzen wollen.

„Zusammen Wirksam!“ lautet der Titel dieser Konferenz vom 18. bis 20. Oktober, zu der die Bewegungsstiftung Aktivist*innen aus unterschiedlichen sozialen Bewegungen nach Berlin einlädt (siehe http://www.bewegungskonferenz.de/worum-gehts.html). Ein Teil dieser Konferenz wird von unserer Initiative und mit den Fragestellungen von „In welcher Gesellschaft …?!“ gestaltet. Geplant ist – im Wechsel von Klein- und Großgruppendiskussionen – den bewegungsübergreifenden Suchprozess zu vertiefen, sowohl im konzentrierten Austausch spezifischer Themenfelder wie auch mit Debatten zu Herausforderungen, die uns alle betreffen. Wer im Oktober dabei sein will, sollte sich baldigst bei der Stiftung anmelden.

Und natürlich freuen auch wir uns über alle Rückmeldungen, Fragen von euch und Vorschläge: welche-gesellschaft@riseup.net

Im September werden wir uns mit einem weiteren Rundbrief melden, nicht zuletzt um über den Stand unserer Bemühungen bezüglich der Verknüpfungsprozesse zu berichten.

Mit besten Grüßen
aus dem kleinen Koordinierungskreis
von „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?!“