ArbeiterInnenkämpfe

tie Global – ein weltweites Arbeiter*innennetzwerk

tie Global arbeitet seit Ende der 70er Jahre innerhalb der Arbeiter*innenbewegung. tie ist ein internationales Netzwerk von Basisgewerkschafter*innen aus dem formellen und informellen Sektor. Sie sind sowohl im Betrieb als auch in ihren Stadtteilen aktiv. tie Global zielt darauf ab, ein internationalistisches Bewusstsein aufzubauen und zu unterstützen sowie die Zusammenarbeit von Arbeiter*innen und ihren Organisationen in verschiedenen Teilen der Welt aufzubauen.
tie Global wurde 1978 auf Initiative von Gewerkschafter*innen aus verschiedenen Teilen der Welt gegründet. Heute gibt es tie-Aktivist*innen in Bangladesch, Indien, Sri Lanka, Brasilien, Kolumbien, Mexiko, Mosambik, Senegal, Südafrika, Türkei, USA und Deutschland. Von Anfang an ging es tie darum, Initiativen der Basis zu fördern, die sich auch über den Betrieb hinaus als Teil einer sozialen Bewegung zur Veränderung von Gesellschaft begreifen, die sich für ein Leben ohne Ausbeutung und Ausgrenzung engagieren – ein Leben, das es den Menschen in Anerkennung ihrer Würde und Freiheit ermöglicht, ihr Leben selbst zu bestimmen.

 

Selbstorganisation und internationale Solidarität
tie unterstützt einen weltweiten Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Gewerkschaftsaktivist*innen, Lohnabhängigen, Frauen- und Menschenrechtsgruppen. Die Aktivitäten von tie zielen darauf ab, Lohnabhängige in die Lage zu versetzen, in Selbstorganisation eigene Strategien zur Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen zu entwickeln. Darüber hinaus soll der Aufbau internationaler Solidarität erleichtert werden.
Solidarität und Selbstorganisation sind für uns Instrumente der Gegenwehr, schaffen außerdem aber auch Räume für Emanzipation und Erfahrungen mit der Bemächtigung der eigenen Welt. Sie entstehen dort, wo unterschiedliche Menschen zusammenkommen und ihre Erfahrungen diskutieren, die ansonsten missachtet oder geringgeschätzt werden – oft genug auch in ihren eigenen Organisationsformen. Für tie ist dies die Bedingung, dass Menschen sich wehren können. Dabei verändern sie sich selbst und die Verhältnisse um sich herum. Solidarität und Selbstorganisation sind damit bereits Vorgriffe auf eine andere Gesellschaft. Sie beinhalten gegenseitige Hilfe als Hilfe von gleichwertigen Partnern und sind darauf ausgerichtet, existierende Spaltungen wie Rassismus und Sexismus zu überwinden.

Ein offener Ort für neue Ideen und Strategien
tie begleitet nationale und internationale Netzwerke von Gewerkschaftsaktvist*innen einzelner Branchen oder Konzerne und ist sowohl im Norden als auch im Süden verankert ist. Dadurch wird es möglich, zwischen sozialen Bewegungen internationale Arbeitszusammenhänge zu stiften und zu mobilisieren. Als ein Laboratorium für neue Strategien ist es tie immer wieder gelungen, Strategien der Gegenwehr weiter zu entwickeln und grenzüberschreitend umzusetzen. Internationale Zusammenarbeit kann mehr sein als Treffen oder Austausche: sie ist gemeinsam Kämpfen, gemeinsame Strategien entwickeln und grenzüberschreitend für die Praxis voneinander lernen. Beispiele sind das Saft- und ExChains Netzwerk. ExChains und das Saftnetzwerk sind Netzwerke, die Arbeiter*innen entlang der Wertschöpfungskette im Textil- bzw. Orangensaftanbau und –verarbeitung (insbesondere Südasien und Brasilien) und Einzelhandel (Deutschland) zusammenbringt und gemeinsam organisiert. Dabei spielt die Suche nach gemeinsamen Problemen und Strategien von Arbeiter*innen an unterschiedlichen Orten einer Industrie eine zentrale Rolle für die Arbeit.
Im VidaViva Netzwerk in Brasilien, Kolumbien, Mexiko, Mosambik, Südafrika und Europa steht die gemeinsame Diskussion über neue gewerkschaftliche Strategien zur Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Mittelpunkt. Hier werden Informationsmaterial, Formen partizipativer Forschung, Bildungsprogramme, nationale Kampagnen sowie internationale Austauschprogramme zwischen AktivistInnen aus diesem Bereich erarbeitet. Das Netzwerk begreift Gesundheit nicht als Sache von Expert*innen, sondern als Sache der Arbeiter*innen selbst: wie sie leben, arbeiten und welche Erfahrungen einen Raum haben und wertgeschätzt werden.

Ein Beispiel: Gesundheit und ein gutes Leben entlang der Wertschöpfungskette
tie versucht die Erfahrungen aus unterschiedlichen Netzwerken zusammenzuführen und durch Verbindungen stärker zu werden: sowohl für unsere Kolleg*innen im Einzelhandel als auch für unsere Kolleg*innen in der Bekleidungsproduktion sind krank machende Arbeitsbedingungen ein Hauptproblem. Langes Stehen auf der Verkaufsfläche oder an der Kasse, das Verräumen von schwerer Bekleidung, immer weniger Personal, Arbeit auf Abruf und niedrige Löhne belasten Einzelhandelsbeschäftigte. Hohe Produktionsquoten, Zwangshaltungen an Maschinen in der Produktion, Belästigungen und Beschimpfungen, Arbeitsdruck, Atemwegserkrankungen und Löhne, die nicht zum Leben reichen, sind Alltag für Näher*innen.

 

Viel zu oft erleben die Beschäftigten die Belastungen nur, leiden unter den Folgen. Im Alltag gelingt es oftmals nicht, eine gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln, dass die Arbeit die Ursache ist und anders gestaltet sein müsste – sei es, weil andere Dinge wichtiger erscheinen, Probleme auf die Einzelne verlagert werden oder gar nicht erst geäußert werden. Mit dem Gesundheitsmapping, einem Werkzeug, das im VidaViva-Netzwerk entwickelt wurde, wird es möglich, kollektiv darüber zu sprechen. Die Arbeiter*innen bekleben Körperbilder mit Punkten, um die Belastungen darzustellen, die sie mit ihrer Arbeit in Verbindung bringen und erläutern sich gegenseitig, was die Ursachen sind. Dies schafft auch einen Rahmen, um über unzureichende Löhne und prekäre Arbeit zu sprechen. Die gemeinsame Erfahrung wird sichtbar, als Bedingung für das Entwickeln von Forderungen und Strategien – sowohl zwischen Kolleg*innen aus Produktion und Verkauf als auch in den jeweiligen Branchen.

Im ExChains-Netzwerk ist es so gelungen, Gemeinsamkeiten zwischen den Arbeiter*innen aus Produktion und Verkauf sichtbar zu machen, über gemeinsame Strategien gegenüber Einkäuferunternehmen und Herstellern zu sprechen und sie zu planen, ohne die Unterschiede zu übergehen. Werkzeuge, wie das Mapping, haben mancherorts Gewerkschaftsarbeit überhaupt erst möglich gemacht bzw. sie gestärkt: so haben Kolleg*innen aus Bangladesch das erste Mal Verhandlungen mit Unternehmen über bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne geführt und in Indien haben Gewerkschafter*innen übergriffige Vorgesetzte weggestreikt. Im Einzelhandel ist es gelungen, zwischen Arbeitssicherheitsausschüssen, gesetzlichen Gefährdungsbeurteilungen und Arbeitsmediziner*innen Gesundheit nicht zum Expert*innenthema zu machen, sondern ausgehend von den Erfahrungen der Kolleg*innen Forderungen und Strategien zu entwickeln.

Neue Strategien am Arbeitsplatz und darüber hinaus
Das Netzwerk von tie Global war immer wieder ein Forum zur Entwicklung neuer gewerkschaftlicher Strategien im Sinne eines social movement unionism. Für tie ging es immer darum, Kämpfe von Arbeiter*innen nicht nur als Kämpfe um bessere Arbeitsbedingungen zu begreifen, sondern die Potentiale zu stärken, in denen es um eine andere, nicht-kapitalistische Gesellschaft geht. Dabei sind Rassismus und Sexismus keine Formen von Herrschaft, die jenseits der Gewerkschaftsarbeit liegen, sondern müssen im Betrieb und vor Ort bekämpft werden, zumal mittlerweile Frauen den größten Teil der weltweiten Arbeitskraft ausmachen.

 

Ziel ist der Kampf um Selbstorganisation und Selbstbestimmung für alle Menschen und das Umwerfen der Verhältnisse, die das verhindern. In der Praxis bedeutet das, immer wieder nach den Widersprüchen, Bedürfnissen und Praxisformen zu suchen, die über das Bestehende hinausweisen und zu versuchen, sie zu bestärken.
Dazu braucht es Verbindungen mit anderen: tie global ist aktiv in dem europäischen Netzwerk von Basisgewerkschaften sowie dem Netzwerk Transnational Social Strike, das sich darum bemüht, Initiativen betrieblicher und sozialer Kämpfe zu verbinden. Mit dem PrekärLab versuchen tie Aktivist*innen in Frankfurt gemeinsam mit Erwerbsloseninitiativen, Initiativen prekär Beschäftigter, Initiativen von Sexarbeiter*innen und Geflüchteten, einen Erfahrungsaustausch und gegenseitiges Lernen zu ermöglichen. Die Suche nach gemeinsamen Strategien, der Umgang mit Unterschieden, aber auch gemeinsame Probleme sind die Triebfeder dieser Initiativen.

 

Herausforderungen
In unseren Arbeitsbereichen erleben wir Umbrüche in der Arbeitswelt. Die Begriffe Industrie 4.0 oder Digitalisierung sind schwammig und verbergen meist, worum es geht: eine Veränderung, wie Menschen arbeiten, ob vereinzelt oder gemeinsam, ob prekär oder nicht, wie Kontrolle und Überwachung funktionieren, wie Mobilität, Wohnen, Sorgearbeit und der Alltag aussehen. In unterschiedlichen Ausprägungen machen alle tie Netzwerke diese Erfahrung. Gleichzeitig bleibt eine emanzipatorische Antwort auf diese Veränderungen aus, egal ob in Brasilien, Indien, in weiten Teilen Europas und anderswo. Wenn es stimmt, dass diese Umbrüche alle Lebensbereiche betreffen und in vielen Teilen der Welt stattfinden, ist die Suche nach gemeinsamen Fragen, Problemen, Praxisformen zentral, ohne den Raum für Unterschiede und verschiedene Erfahrungen zu nehmen. Deshalb ist für uns die Frage von „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?!“ zentral.

Kontakt: info[at]tie-germany.org