Klimagerechtigkeit

Die Bewegung für Klimagerechtigkeit kämpft für eine gerechte Gesellschaft, welche den Klimawandel aufhält und seine negativen Folgen besser verteilt.

Anfangen kann jede und jeder damit, den eigenen Konsum zu verändern, und dafür sind wir Ökos ja auch besonders bekannt: Wir futtern regionales Bio-Essen der Saison, mindestens vegetarisch und am Besten vegan. Die Wohnung ist nicht so groß und hoffentlich gut gedämmt, weil Heizen besonders viel Energie verbraucht. Klamotten und Technik werden möglichst lange genutzt und auch repariert, um nicht ständig neues Zeug kaufen zu müssen. Unterwegs sind wir mit Rad und Zug statt mit Auto und Flugzeug. Das mag alles wie anstrengender Verzicht wirken, aber in Wirklichkeit macht es oft Spaß, denn wir entdecken Neues, verbringen weniger Zeit in Shopping Malls und lernen Gleichgesinnte kennen. Spaß macht es insbesondere, wenn mensch es nicht zu ernst nimmt. Selbst wenn der Hintergrund ernst ist: Denn wenn alle so leben würden wie die Menschen im Durchschnitt in Deutschland, bräuchte es die Erde gleich drei Mal, um den Verbrauch aufrecht zu erhalten. Die gibt es aber nicht. Und deshalb geht dieser Verbrauch vor Allem auf Kosten derer, die am Wenigsten zur Umweltzerstörung beitragen: die ärmsten Menschen dieser Welt. Sie leiden schon jetzt am Meisten unter den Folgen des Klimawandels, während sie häufig die Produkte herstellen, welche hier konsumiert werden.

 

So kommt man vom Konsum zum Hinterfragen von Privilegien: Die Idee von Klimagerechtigkeit zwingt Menschen im globalen Norden dazu, sich mit den eigenen Privilegien auseinanderzusetzen. Dabei wird auch klar, dass die auch hier nicht gleich verteilt sind. Nicht alle Menschen in Deutschland brauchen drei Planeten, auch hier ist der Verbrauch von Natur extrem ungleich verteilt. Auch hier verbrauchen die Reichen am Meisten (und die wählen auch besonders häufig die Grünen). Es geht aber nicht nur um Armut und Reichtum und Naturzerstörung. Es geht auch um Geschlecht, um sexuelle Orientierung und um Rassismus, kurz: um alle Formen von Diskriminierung. In den letzten Jahren hat die queerfeministische Bewegung die Klimagerechtigkeitsbewegung stark beeinflusst. (Queer-)Feminist*innen haben unglaublich viel Arbeit geleistet und so ist es mittlerweile in der Bewegung ziemlich weit verbreitet, dass auf Klimacamps eine große Vielfalt an geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen offen gelebt werden kann, dass Frauen* an vorderster Stelle für die Bewegung sprechen und dass es bei großen Besprechungen ein ziemlich achtsames Rede-Verhalten gibt. Was nicht heißen soll, dass es nicht noch viel zu tun gibt. Weniger gute Nachrichten gibt es beim Thema Rassismus und Klassismus: Die Menschen in der Klimagerechtigkeitsbewegung sind überwiegend weiß und akademisch.

 

Den eigenen Konsum zu verändern ist eine wichtige Übung, um eine andere Gesellschaft auszuprobieren, aber es reicht nicht. Auch wenn ich nur noch Müsli mit verdünnter Hafermilch esse, verheizt das örtliche Kohlekraftwerk das Klima – und im Zweifelsfall noch ein paar Dörfer gleich mit. Also muss ich mich mit anderen zusammenschließen. Die Klimagerechtigkeitsbewegung ist sehr breit aufgestellt, von großen Umweltverbänden über Bürger*innen-Initiativen und lokale Kooperativen bis zu Klimacamps, ungehorsamen Aktionen mit Tausenden von Menschen und langjährigen Wald-Besetzungen. Trotz verschiedener Taktiken und oft auch Lebensrealitäten ziehen die verschiedenen Akteur*innen häufig an einem Strang. Das war nicht immer so, sondern ist das Ergebnis von aufwändiger Bündnisarbeit, die auf guter Kommunikation beruht. Die Zusammenarbeit über verschiedene soziale Bewegungen hinweg bekommt ebenfalls immer mehr Gewicht: So beteiligte sich „Ende Gelände“, eine Kampagne, die sich bisher auf die Blockade von Kohle-Abbau spezialisiert hatte, 2018 auch mal an der Blockade einer Demo der AfD in Berlin. Und auch bei der antirassistischen Parade von „Welcome United“ in Hamburg und der riesigen #unteilbar-Demo in Berlin gab es Klimagerechtigkeits-Blöcke.

Wenn wir eine gerechtere Welt wollen, können wir nicht hoffen, dass Regierungen sie für uns einführen. Wie schon der Atomausstieg ist auch der Kohleausstieg Handarbeit. Und wenn wir in Zukunft noch auf einem lebenswerten Planeten leben wollen, können wir nicht darauf hoffen, dass Politiker*innen ihn für uns erhalten. Da der Klimawandel auch nach Jahren internationaler Klimaverhandlungen weiter fortschreitet, wählen Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung bewusst zivilen Ungehorsam als Strategie, um ihre Ziele zu verfolgen. So blockieren Menschen bei Ende Gelände beispielsweise massenhaft Kohlezüge oder Kohlebagger. Diese Widerständigkeit gilt jedoch nicht nur für große Aktionen, sondern überträgt sich im Besten Fall auf den Alltag, ob beim Streit mit dem/der Vermieter*in um die Mieterhöhung ist oder beim Einmischen bei einer rassistischen Polizeikontrolle.

 

Bei Klimagerechtigkeit geht es jedoch nicht nur darum, gegen die Klimakatastrophe und die Ungerechtigkeit in der Welt zu kämpfen, sondern auch darum, Alternativen zu entwickeln und auszuprobieren. 2018 gab es in Europa neun Klimacamps, die nicht nur Treffpunkte, sondern auch eine Art Labore der Bewegung sind. Hier wird mit neuen, basisdemokratischen Entscheidungsformen experimentiert, es gibt eine eigene Stromversorgung aus erneuerbaren Energien und den Beweis, dass veganes Essen übelst lecker schmecken kann. Denn es muss nicht nur Sellerie sein, es kann auch Pizza geben! Und wenn die wieder rauskommt, wird sie noch verwertet: Auf den Camps gibt es selbst gebaute Toiletten, die kein Wasser verschwenden und stattdessen aus Scheiße Kompost machen. Neben dem Ausprobieren von konkreten Alternativen wird auch über gesellschaftspolitische Veränderungen nachgedacht: Wie könnte eine Postwachstumsgesellschaft aussehen? Was sind erste Schritte dahin?

Wie viele soziale Bewegungen kann die Klimagerechtigkeitsbewegung eine ziemliche Blase sein, in der es sich einigermaßen bequem leben lässt. Doch es gibt auch viele Bemühungen, über den Tellerrand hinauszuschauen und neue Bündnisse zu schaffen. So gibt es seit 2016 einen ständigen Dialog mit der Bergbau-Gewerkschaft IG BCE. Diese ist eigentlich eher ein taktischer Gegner der Bewegung, da sie den Braunkohle-Abbau verteidigt, obwohl der unvereinbar mit den deutschen Klimazielen ist. Des Weiteren wurden in den letzten Jahren mehrere Bündnisse mit Menschen geschlossen, die vom Braunkohle-Abbau betroffen sind, auch über kulturelle Differenzen hinweg.

Wir sind noch weit von umfassender Klimagerechtigkeit entfernt. Insbesondere wenn man bedenkt, dass es nicht nur darum geht, Energie dezentral und erneuerbar zu produzieren, sondern auch um mehr Fahrräder und coole Züge zu nutzen statt im Stau stehen und Wälder für Flughäfen roden, eine ökologische Landwirtschaft voranzubringen statt Tierfabriken und eine ganz andere Digitalisierung zu finden (denn facebook und google spähen uns nicht nur aus, das Internet verbraucht auch 10% des weltweiten Stroms, Tendenz rasant steigend). Die 1,5 Grad-Grenze für die Klima-Erwärmung ist kaum noch einzuhalten und das ist nicht unser einziges ökologisches (und damit auch soziales) Problem: Der Verlust an biologischer Vielfalt ist ebenso riesig. Also verzweifeln? Das bringt nichts und macht schlechte Laune. Optimistischer Tatendrang und strategisches Vorgehen angesichts der schreienden Ungerechtigkeit in der Welt sind ansteckend.

Es ist kein Zufall, dass einer der häufigsten Gesänge in der Bewegung für Klimagerechtigkeit lautet: „We are unstoppable, another world is possible!“

Links:


https://www.degrowth.info/de/dib/degrowth-in-bewegungen/anti-kohle-bewegung/
https://www.degrowth.info/de/dib/degrowth-in-bewegungen/klimagerechtigkeit/