Globale Soziale Rechte (2007)

Netzwerke für Globale Soziale Rechte

Plattform der Initiative für Globale Soziale Rechte (2007)

Der bloße Verweis auf die Globalisierung genügt nicht mehr, um neoliberale Reformen als alternativlos darzustellen und durchzusetzen. Die herrschende Politik und ihre Medien entdecken ihr „soziales Gewissen“ und wollen Globalisierung endlich auch „sozial gestalten“. Das ist auch den Protesten von Seattle, Genua und Heiligendamm zu verdanken. Doch noch ist die Opposition zersplittert, beschränken sich soziale Bewegungen, Gewerkschaften und NGOs zu sehr auf den eigenen Bereich und das eigene Klientel. Dem entspricht, dass die zentralen Losungen der Jahre nach Seattle – „Eine andere Welt ist möglich!“ und „Fragend schreiten wir voran!“ – an provokatorischer Kraft verloren haben: Nicht, weil sie falsch geworden wären, sondern weil der Stand der Bewegungen und Kämpfe wie die Dringlichkeit der ihnen gestellten Probleme mehr verlangt.

Dabei zieht sich durch von einander scheinbar unabhängige, jedenfalls getrennt ausgetragene Auseinandersetzungen ein roter Faden, der sie untergründig miteinander verbindet und vielleicht das Potenzial eines gemeinsamen Projektes birgt: Geht es doch in ganz verschiedenen Initiativen nicht nur auf den ersten Blick darum, der Globalisierung des Kapitals, der Märkte und der Waren mit einer Globalisierung der Sozialen Rechte zu begegnen.

  1. So diskutieren entwicklungspolitische NGOs die Forderung nach einem universellen Mindesteinkommen, mit dem sich jeder Mensch am Ort seines Lebens täglich drei Mahlzeiten kaufen kann. Sie schlagen damit eine heute schon mögliche Lösung für den augenfälligsten Skandal des Globalisierungsprozesses vor, den Skandal, dass in einer Welt, die Nahrungsmittel nachweislich im Überfluss produziert, fast eine Milliarde Menschen vom Hungertod bedroht sind. Indem diese NGOs ein solches universelles Mindesteinkommen in der Form einer jedem Menschen zustehenden Zahlung einfordern, artikulieren sie einen Globalen Sozialen Rechtsanspruch auf eine – nur im Rahmen eines Ressourcentransfers vom Norden in den Süden einzulösende – weltgesellschaftliche Garantie des individuellen Überlebens aller. Derselbe Anspruch wird auch mit anderen Forderungen wie der nach einem rechtlich garantierten weltweit gleichen und freien Zugang aller zu Gesundheit erhoben. In der Konfrontation mit einem besonderen Problem entwerfen sie derart das Bild einer möglichen Welt, die im Verhältnis zur heute bestehenden nicht nur für die unmittelbar Betroffenen eine ganz andere Welt wäre.
  2. Unter den Bedingungen einer strukturellen Massenarbeitslosigkeit und der beständigen Erpressung durch transnational operierende Konzerne sehen sich heute noch national organisierte Gewerkschaften zunehmend genötigt, ihr betriebliches und politisches Handeln auf internationaler und globaler Ebene abzustimmen. In länderübergreifenden Kooperationen versuchen sie deshalb, gemeinsame Standards als konzernweit bindende Vereinbarungen durchzusetzen. Sie wollen so eine strategische Antwort auf den Umstand finden, dass sich die global entfesselte Konkurrenz der Kapitale bisher zwangsläufig in eine Konkurrenz der nationalen Interessenvertretungen von ArbeiterInnen und Angestellten übersetzen musste. Indem sie die sozialen Rechte der Lohnabhängigen als zuletzt nur noch global durchzusetzende soziale Rechte artikulieren, tragen sie aus ihrer Perspektive zu einem umfassenden Prozess der Globalisierung der Sozialen Rechte aller bei.
  3. Globale Soziale Rechte setzt aber auch der Anspruch der MigrantInnen auf weltweite Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit auf die Tagesordnung. Das stellt nicht nur Grenzen und soziale Hierarchien, sondern sämtliche nationalstaatlich-protektionistischen und noch die auf den europäischen Raum erweiterten Politikkonzeptionen in Frage. Die Widersprüche unter den Lohnabhängigen spitzen sich im Verhältnis zum Rechtsanspruch der MigrantInnen noch einmal zu. Das ist kein Zufall, weil sich die Ambivalenzen des Globalisierungsprozesses in der Figur der MigrantIn und den Strategien der selektiven Ein- und Ausgrenzung verdichtet, der sie unterworfen werden soll.
  4. Die Komplexität eines Projektes für Globale Soziale Rechte scheint sich nochmals zu vervielfachen, sobald die unumgänglichen ökologischen Fragen einbezogen werden. Was bedeutet Globale Ökologische Gerechtigkeit, wenn die klassischen Industrieländer die historische Schuld (nicht nur) für den Klimawandel tragen, einige Schwellenländer mittlerweile an der Schraube mitdrehen und vor allem die armen Länder von den Konsequenzen betroffen sind? Hinzu kommt die zeitliche Brisanz: Gelingt es nicht, den globalen Trend der ansteigenden CO2 Emissionen in den nächsten 10 – 15 Jahren zu brechen, drohen unkontrollierbare und unumkehrbare Folgen.
  5. Soll das Potenzial der unterschiedlichen Initiativen für eine Globalisierung Sozialer Rechte wirklich freigesetzt werden, kann es nicht um das freihändige Erstellen eines Katalogs der Wünschbarkeiten gehen, sondern nur um einen offenen Austausch über die inneren Widersprüche der AkteurInnen einer solchen „Globalisierung von unten“. Es ginge dann, um mit der Ökologie zu beginnen, um die Frage, wie Entwicklung und Wachstum aus unterschiedlichen Blickwinkeln definiert und zu den ökologischen Grenzen ins Verhältnis gesetzt werden können. Zur Disposition gestellt wird dann ein Lebensstil, der aus ökologischer Verantwortung nicht globalisierbar ist, obwohl global nach ihm gestrebt wird. Um ein Beispiel zu geben: das Recht auf globale Mobilität lässt sich über die Vervielfachung der dominanten Verkehrsformen (vom Auto bis zum Flugzeug) auch dann nur um den Preis einer ökologischen Katastrophe umsetzen, wenn weitere technologische Fortschritte unterstellt werden. Sollen Individualverkehr und Reisen aber nicht das Privileg einer begüterten Minderheit bleiben, scheint eine Lösung nur im Verzicht zu liegen, der faktisch von den globalen Mittelklassen, also von uns zu leisten wäre. Oder suchen und setzen wir auf „die ganze Bäckerei“, auf gänzlich neue Verhältnisse, in denen wir das gute Leben mit einem global verträglichen Ressourcen- und Energieverbrauch neu erfinden können und müssen? „Win-Win“-Situationen stellen sich jedenfalls selten automatisch her. Im Gegenteil: Die vorherrschende Standortlogik setzt auf Konkurrenz und gegenseitiges Ausspielen zugunsten höherer Ausbeutungsraten, und das nicht nur zwischen globalem Süden und Norden, sondern auch zwischen Betrieben, die zum gleichen Firmenimperium gehören und oft sogar im gleichen Land angesiedelt sind. Werden dabei fest angestellte Lohnabhängige gegen Leih- und ZeitarbeiterInnen und natürlich gegen die schon Erwerbslosen in Konkurrenz gesetzt, verschärft sich das System der Spaltungen noch einmal im Verhältnis der „einheimischen“ Lohnabhängigen zu den migrantischen ArbeiterInnen. Außer Sicht gerät dabei, dass die MigrantInnen aus der berechtigten Suche nach einem besseren Leben gegen ein absichtsvoll konstruiertes Lohngefälle und ein Grenz- und Visaregime wandern, das sie nötigt, sich „illegal“ und nahezu rechtlos in genau den Niedriglohnsektoren durchzuschlagen, in die zugleich die Zeit- und LeiharbeiterInnen und natürlich auch die Erwerbslosen hineingezwungen werden.
  6. Soll der Widerstand gegen diese Spaltungen nicht nur auf die abstrakte Einsicht gegründet werden, dass alle ArbeiterInnen und Angestellte trotz der sie trennenden Status-, Landes- bzw. Staatsgrenzen Glieder der Verwertungskette ein und desselben transnational operierenden Kapitals sind, muss in der alltäglichen Gewerkschaftsarbeit erfahrbar werden, dass es nicht die migrantischen, nicht die Leih- und Zeitarbeiter und nicht die Erwerbslosen sind, die für das Vorliegen solcher Arbeitsverhältnisse und deren Effekte auf dem weiteren Arbeitsmarkt verantwortlich sind. Deshalb kommt den inner- wie außergewerkschaftlichen Ansätzen große Bedeutung zu, in denen sich Menschen mit und ohne Erwerbsarbeit oder ArbeiterInnen mit und ohne Papiere jeweils gemeinsam für ihre Rechte organisieren. Dass einerseits Flucht und Migration zu einem wachsenden Anteil mit ökologischen Verwüstungen im globalen Süden zusammenhängen und dass andererseits eine gerechte Verteilung der Ressourcen vielen Menschen im Süden ein „Recht zu bleiben“ ermöglichen würde, deutet dann auf weitere Verknüpfungen und potenzielle Gemeinsamkeiten vermeintlich partikularer Interessen hin. Es entspricht allerdings der Tiefe und Schärfe der materiellen und symbolischen Trennungen, dass die Kommunikation nicht nur zwischen den unmittelbar Betroffenen, sondern auch zwischen ihren Organisationen bzw. Repräsentationen erst noch zu stiften oder jedenfalls zu vertiefen sind: zwischen verschiedenen (meist noch) national organisierten Gewerkschaften, Selbstorganisationen der prekär Beschäftigten, der Erwerbslosen und der MigrantInnen, Netzwerken der antirassistischen Solidarität und entwicklungspolitischen sowie ökologisch orientierten NGOs. Ein Medium solcher Kommunikation sind dabei die Sozialforen der globalisierungskritischen Bewegung.
  7. Die Diskussion über die unterschiedlichen Eigenlogiken der Handlungsfelder von AktivistInnen sozialer Bewegungen, MitarbeiterInnen von NGOs und GewerkschafterInnen ist ein erster Schritt, um gemeinsame Interessen und unter ihnen das besondere Interesse an einer gemeinsamen Politik Globaler Sozialer Rechte zu definieren. Für einen solchen Anfang im Prozess der „Bewegung der Bewegungen“ ist viel gewonnen, wenn verständlich wird, dass und wie es allen Beteiligten bei allen Unterschieden und Widersprüchen um die unabweisliche Notwendigkeit geht, soziale Rechte nicht mehr nur in nationalen Grenzen, sondern in weltweiter Geltung zu erstreiten. Weltweit, sofern sie zuletzt überall, und weltweit, sofern sie dann in jedem einzelnen Land für alle gelten werden.

 

 

Veröffentlicht am 25. Oktober 2007