Diskussionsbeiträge
Die Zapatistas bereisen Europa
Am 2. Mai 2021 machte sich eine erste Gruppe von Zapatistas mit einem Segelschiff von der Karibik aus auf den Weg nach Europa. Es ist die erste Station einer Weltreise: „Wir sind Zapatist*innen, Träger*innen des Virus des Widerstandes und der Rebellion. Als solche werden wir die 5 Kontinente bereisen.“
Elisabeth Voß
An dieser Stelle hätten wir gerne ein Gespräch mit Leuten aus dem Ya-Basta-Netz veröffentlicht. Leider war das angesichts der umfangreichen Organisationsaufgaben rund um diese Reise im Moment nicht möglich – was wir bedauern, aber auch gut verstehen können. So habe ich im Folgenden einiges zusammengetragen, was ich aus unserer Trossenstek-Perspektive interessant fand.
Mit der Schiffsreise kehren die Zapatistas die Eroberung Amerikas vor 500 Jahren symbolisch um. Am 13. August, dem Jahrestag der (vermeintlichen) Eroberung, wollen sie in Madrid sein: „Wir werden dem spanischen Volk zwei einfache Dinge sagen: Erstens: Dass sie uns nicht erobert haben. Dass wir weiterhin da sind und Widerstand und Rebellion fortsetzen. Zweitens: Dass sie nicht bitten müssen, dass wir ihnen etwas vergeben.“ (Kommuniqué der EZLN vom 5. Oktober 2020). Sie prangern die aktuellen Gewalttaten und Zerstörungen an. Immer wieder gibt es tödliche Angriffe auf zapatistische Aktivist*innen. So wurde zum Beispiel am 20. Februar 2019 der Umweltschützer Samir Flores Soberanes, der sich gegen den Bau eines Wärmekraftwerks und der dazu gehörigen Gaspipeline engagierte, vor seinem Haus erschossen, oder zuletzt am 8. Mai 2021 der 24-jährige Pedro Lunez Pérez bei einem paramilitärischen Angriff getötet. „Und heute, nach mehr als fünfhundert Jahren Conquista und Krieg, sind wir in Gefahr, ausgelöscht zu werden – zusammen mit der gesamten Welt“ warnen Indigene Räte im Januar 2021.
Viele ihrer Botschaften packen die Zapatistas in märchenhafte Geschichten. So lassen sie einen „Alten Antonio“ im Jahr 1985 sagen: „Es kommt der Tag, an dem der Tod sich aufs Grausamste zeigen wird. Die Maschine, die die Wege krank macht, wird begleitet von einem quietschenden Räderwerk. Sie wird lügen, wenn sie sagt, sie bringe Wohlstand. Denn Zerstörung bringt sie. Wer sich diesem Getriebe widersetzt, das Pflanzen und Tiere unter sich begräbt, dessen Leben und Erinnerung wird durch Mord enden. Das Leben stirbt durch die Kugel; die Erinnerung durch die Lüge. Die Nacht wird sich verlängern. Der Schmerz wird sich weiter ausbreiten. Es werden viele Tode gestorben.“ (Kommuniqué der EZLN vom Oktober 2020).
Nicht die Unterschiede suchen, sondern das Verbindende
Mit ihrer „Reise für das Leben“ möchten die Zapatistas weltweit Bewegungen „von links und unten“ zusammenbringen. „Es geht darum, uns zu vernetzen und unsere Kämpfe zu verbinden“ heißt es im Mobilisierungsvideo, und „Wir werden nicht die Unterschiede suchen, sondern was uns verbindet.“ Gerade der zerstrittenen Linken in Deutschland kann das nur gut tun.
In der Tageszeitung nd (früher „Neues Deutschland“) vom 4. Mai 2021 erläutert Luz Kerkeling vom Ya Basta Netz: „Ihre erste Delegation bezeichnen die Zapatistas als ‚Geschwader 421‘, da sie aus vier Frauen, zwei Männern und einer »unoa otroa« (dt. in etwa: eine Person anderen Geschlechts) besteht. Ab Juli folgen weitere Delegierte, so dass die Gesamtgruppe 160 Personen umfassen wird, die das Mandat der rund 1000 zapatistischen Gemeinden aus Chiapas, Mexiko, innehaben.“ Er führt weiter aus, dass es thematisch „neben dem antipatriarchal-feministischen Schwerpunkt der Reise auch um antifaschistische, antikapitalistische, antimilitaristische, antirassistische, internationalistische und umweltrelevante Themen sowie um das Kennenlernen ökologisch-solidarischer Projekte gehen“ wird. Auch eine Kundgebung gegen den Konzern Bayer ist geplant.
Die Reise wirkt bereits in der Vorbereitungsphase, und es klingt recht hoffnungsvoll, was Luz Kerkeling von seiner Kollegin Ruth Schmidt übermittelt: „Es gibt zahlreiche Mobilisierungsveranstaltungen. Die EZLN hat schon jetzt dafür gesorgt, dass sich viele emanzipatorische Kämpfe überhaupt kennengelernt und stark miteinander vernetzt haben. Das ist eine deutliche Stärkung der außerparlamentarischen Linken, die wir wirklich schon lange nicht mehr erlebt haben.“
Zum Beispiel die Vorbereitungsgruppe in Berlin
Die Berliner Vorbereitungsgruppe ist ein FLINTA*-Netzwerk, was sich aus Personen aus verschiedenen Gruppen und Kollektiven zusammensetzt. Mit dabei sind feministische Gruppen, Gruppen, die migrantische Kämpfe sichbar machen und zu Dekolonialisierung arbeiten und Menschen, die in verschiedenen studentischen, Arbeits- und Wohnkollektiven organisiert sind.
Aus einer Einladung an die Zapatistas:
„In Resonanz mit der Tour für das Leben und als Produkt unseres Organisierungsprozesses liegt/lag der Fokus für uns auf antipatriarchalen und feministischen Kämpfen, zusätzlich zur Beteiligung migrantischer Kämpfe und mit einer klassenkämpferischen Perspektive als transversaler Achse. Für uns ist es wichtig, dass der um Ihren Besuch herum generierte Austausch nicht zusammenbricht, sobald der Besuch dem Flusslauf folgt. Unser Prozess des gemeinsamen Schaffens hatte zum Ziel, dass dieses Treffen nur der Anfang von etwas Neuem ist, deshalb ist das gegenseitige Kennenlernen und das Knüpfen von Banden der gemeinsamen Arbeit an sich unser Programm. Dies ist also unsere Einladung an alle, Verbindungen, zu schaffen, die es uns ermöglichen, weiterhin gemeinsam für die Freiheit unserer Welten zu kämpfen!
Hier haben wir mehrere Sprossen, die wir gemeinsam weiter gießen müssen: die Frage der antikolonialen Kämpfe ohne Territorium, der Kampf gegen Extraktivismus und Megaprojekte aus dem Raum, der sie entweiht, die Ernährungssouveränität in einer Metropole, die Rolle des weltweiten Repressions- und Gefängnissystems, das unsere GenossInnen ins Exil treibt… und der Garten wird weiter wachsen.“
Kontakt: berlin@ya-basta-netz.org
Europa soll ein widerspenstiges Land werden
Azize Aslan berichtet am 10. Mai in der Online-Zeitung anfdeutsch.com: „Als erste Zapatist:in soll die Transfrau Marijose Europa betreten. Die Zapatistas benutzen den Begriff ‚otroa‘ als Namen für alle alternative Formen von Dritten Geschlechtern. Xier wird erklären: ‚Im Namen der zapatistischen Frauen, Kinder, Männer, Alten und natürlich Otroas erkläre ich, dass der Name dieses Bodens, den seine Eingeborenen jetzt ‚Europa‘ nennen, fortan SLUMIL K´AJXEMK´OP, das heißt ‚widerspenstiges Land‘, oder ‚Land das nicht aufgibt und nicht verzagt‘ genannt werden wird. Und so wird es den Einheimischen und Fremden bekannt sein, solange es hier jemand gibt, der nicht aufgibt, sich nicht verkauft und nicht kapituliert.‘“
Auf ihrer Reise durch Europa wollen die Zapatistas auch mit der kurdischen Freiheitsbewegung zusammen kommen, zu der schon lange Beziehungen bestehen, berichtet Azize Aslan weiter: „Beide Bewegungen haben, so weit voneinander entfernt, ähnliche Konzepte und soziale Praktiken entwickelt und verfolgen ein Frauenbefreiendes, radikaldemokratisches Paradigma jenseits des Nationalstaats und der kapitalistischen Moderne.“
Hoffnung atmen
Unter dem Titel „Jetzt können wir Hoffnung atmen“ schreibt der Politikwissenschaftler John Holloway, der die zapatistische Bewegung von Anfang an begleitet, im Juni 2021 in CONTRASTE – Monatszeitung für Selbstorganisation, die Zapatistas kämen „nicht um zu führen, sondern um zu teilen. Ein Händehalten, ein wechselseitiger Fluss von Energien, vielleicht ein Funke. Ein Austausch bestimmter Erfahrungen des gemeinsamen Kampfes, um die Hydra zu töten, ein Lernen, das ein Lehren ist, ein Lehren, das ein Lernen ist.“
Er hofft, „dass die verrückte Reise mehr Menschen, weit jenseits der Welt der Aktivist*innen, berühren wird als nur die ‚üblichen Verdächtigen‘“ und betont, diese Reise solle „den Kampf für das Leben und gegen den Kapitalismus (denn der Kampf für das Leben muss ein Kampf gegen den Kapitalismus sein) in eine neuerlich surreale Dimension führen. Der Surrealismus ist von entscheidender Bedeutung, denn er bricht die Logik des Kapitals und seines Staates, der unsere Träume von etwas Besserem in die Reproduktion des ewig gleichen Systems des Todes zieht und zieht und zieht.“
Den Kapitalismus zerstören?
In einer gemeinsamen „Erklärung für das Leben“ eines Teil des Europa von Unten und der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN wird ein vielfältiges „Wir“ beschrieben, das durch Vieles getrennt und nur durch Weniges verbunden wird. Doch dies Wenige hat es in sich: „Dass wir uns die Schmerzen der Erde zu eigen machen“ und: „Der Verantwortliche für diese Schmerzen ist ein System. Den Henker stellt ein ausbeuterisches, patriarchales, pyramidenförmiges, rassistisches, räuberisches und kriminelles System dar: der Kapitalismus.“
Daraus folgt „Das Wissen: Es ist nicht möglich, dieses System zu reformieren, zu erziehen, abzumildern, zurechtzufeilen, zu zähmen, zu humanisieren. Die Verpflichtung: Zu kämpfen, überall und jederzeit – jede/r auf ihrem/seinem Gebiet – gegen dieses System – bis es vollständig zerstört ist.“ Ist das ein Widerspruch zu unseren Alltagskämpfen für ein besseres Leben schon heute, für Seenotrettung und Rechte von Geflüchteten, gegen die Zerstörung der Natur und für Arbeits- und Mieter*innenrechte, für Kollektivbetriebe, selbstverwaltete Hausprojekte und solidarische Handelsstrukturen?
Vielleicht löst sich der (scheinbare?) Widerspruch auf, wenn wir versuchen, uns auf die indigene Kosmologie der Zapatistas einzulassen, die sich nicht als getrennt von der Umwelt erleben, sondern als Teil von etwas Größerem. Das berühmte „fragend voran“ ist eine Haltung zur Welt, die nicht formen oder bestimmen will, sondern in einem empfangenden und mitfühlenden Fluss bleibt. Dies Fragen geht weit über rein rationales Verstehen hinaus. Da geht es um Wahrhaftigkeit und um die Sprache des Herzens, um Beziehungen und gegenseitige Abhängigkeiten anstelle von Besitzverhältnissen. Die zapatistische Kollektivität steht nicht im Widerspruch zur Individualität, „weil das kollektive Interesse sich ausschließlich auf das persönliche stützt“ (kolektivo alakrxn: In ihrer eigenen Sprache – Bats‘I K‘Op Zapatista, Januar 2021, Seite 25).
Diese zapatistische Weltsicht bewegt sich jenseits kolonial, patriarchal und kapitalistisch geprägter Logiken, Denk- und Empfindungsweisen. Insofern verstehe ich es so, dass das Schmerzen verursachende System mit jedem Projekt ein Stück weit zerstört wird, in dem eine andere Wirklichkeit schon heute gelebt wird – also auch in vielem von dem, was wir mit unseren unterschiedlichen Alltagskämpfen versuchen. Dies ist jedoch nicht mit einem Mal getan, sondern es ist ein ständiger Kampf für diese andere Wirklichkeit und gegen das Einsickern des Schmerzen Verursachenden von innen und von außen.
Gemeinsam im Schneckentempo voran
Wir vom Trossenstek haben uns die Schildkröte als Symbol des langsamen, aber stetigen und immer fragenden Vorangehens gewählt. Die Zapatistas beschreiben ihren Weg als Weg der Schnecke. Seit sie 1994 mit „Ya Basta!“ den Kampf aufnahmen, endete ihr Schweigen „und die 500 Jahre Kampf gegen den Kolonialismus gingen weiter, langsam aber beständig, wie eine Schnecke“. Die Zeit verstehen sie als Spirale und als ein Kontinuum: „Die Schnecke, die sich langsam vorwärts bewegt, die Muschel, die die comunidad zur Zusammenkunft ruft, die Spirale (pu‘y), die das Eintreten ins Herz repräsentiert.“ (In ihrer eigenen Sprache, Seite 12 und 13). Wir freuen uns auf den Austausch und hoffen, dass der Besuch der Zapatistas mehr und dauerhaftere Wirkungen erzielt, als die vielen Veranstaltungen, Kongresse und Netzwerktreffen, die oft inspirierend sind, aber viel zu selten zu kontinuierlichen Vernetzungsprozessen führen. Angesichts der Herausforderungen der vielen Krisen wäre eine stetig voranschreitende globale Vernetzung „von links und unten“ unbedingt notwendig.